06.04.2021

Die „Tute“ regelt den Lebensrhythmus im Dorf

Jahrzehntelang wurde der Tagesrhythmus der 500 Einwohner des kleinen Dorfes Kesselt von der Fabriksirene bestimmt. Der scharfe und durchdringende Klang der Fabriksirene - in Kesselt nennt man sie „Die Tute“ - hallte durch das ganze Dorf.

Zu drei festen Zeiten am Tag ertönte „Die Tute“. Die Haushalte im Dorf stellten ihre täglichen Aktivitäten weitgehend auf die Sirene ein. „Sie regelte das Leben im Dorf“, sagt Marino Keulen, ein ehemaliger Nachbar der Ziegelei, der sich lyrisch und mit einem Hauch von Nostalgie an die Sirene erinnert. Früher stellten Familien ihre Uhren zu Hause auf die Fabriksirene von Nelissen ein.

Der Tagesrhythmus

Morgens um viertel vor acht ging „Die Tute“ zum ersten Mal. „Um diese Zeit begann die Tagschicht in der Fabrik“, sagt er. „Für die Eltern war das der Moment, ihre Kinder zu wecken. Danach gingen die Kinder in den Kindergarten oder in die Grundschule im Dorf.“ Am Mittag, um Punkt zwölf Uhr, heulte die Sirene ein zweites Mal. „Für die Arbeiter und Bediensteten in der Fabrik war es die Zeit, ihre Butterbrote zu essen. Die Kinder in der Schule auf konnten für die Mittagspause nach Hause gehen und dort essen“, fuhr er fort. „Die Tute“ erklang drittes und letztes Mal, um zu signalisieren, dass die Arbeit der Tagesschicht erledigt war. Dann war auch die Schule aus und kamen die Kinder nach Hause. Die Sirene regelte über Jahre hinweg die Zeit des Aufstehens, des Essens und des Zubettgehens im Dorf, laut Bürgermeister Keulen.

Toben

Kinder aus der unmittelbaren Umgebung der Ziegelei und aus dem weiteren Umkreis des Dorfes konnten sich auf dem Werksgelände austoben. Sie spielten nicht nur im Sommer Fußball auf der Straße oder fuhren im Winter auf einem Schlitten, sondern trieben zwischendurch auch Unfug auf und zwischen Ziegelstapeln. Die Ziegelei war ein idealer Spielplatz für viele Kinder. Ihre Altersgenossen aus den umliegenden Dörfern waren ganz schön neidisch auf die Jungs aus Kesselt. „Der Platz unter dem Vordach, unter dem die gebrannten Ziegel zum Abkühlen und Aushärten lagen, war ein magischer Ort zum Toben“, erklärt Marino Keulen.

Aschenbecher

„Wir waren einfallsreich. Regelmäßig konnten wir aus Tonresten eine Kugel formen. Wir machten eine Mulde in den Ton, bis die Kugel die Form eines Aschenbechers hatte. Und ohne dass die Arbeiter oder Aufseher es bemerkten, versteckten wir die Aschenbecher aus Ton zwischen den Ziegeln im Brennofen. Und sie fielen nicht auf. Nach dem Ausbacken wurden sie lackiert. Es waren kleine, schön gemalte Kunstwerke, die wir mit nach Hause nahmen“, erzählt Marino Keulen. Er ist überzeugt, dass es heute noch in so manchem Haushalt in Kesselt solche Aschenbecher gibt. „Sie sind ein Souvenir fürs Leben und eine schöne Erinnerung an unsere Kindheit bei der Ziegelei.“ 
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